Ein fliehendes Pferd by Martin Walser

Ein fliehendes Pferd by Martin Walser

Autor:Martin Walser
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3518371002
Herausgeber: Suhrkamp
veröffentlicht: 2002-01-01T23:00:00+00:00


7.

Kurz vor halb neun standen Helmut und Sabine unter dem Vordach und betrachteten Frau Zürns wild gemischten Blumen-Garten mit einem Interesse, das Frau Zürn, sollte sie plötzlich auftauchen, befriedigen mußte. Frau Zürn hatte einmal zu Helmut gesagt, sie geniere sich dafür, daß die Ferienwohnung Gitter vor den Fenstern habe, deshalb habe sie Phloxe, Fingerhüte, Königskerzen und vor allem die hohen Malven gesetzt. Helmut hatte gesagt, wenn man die Gitterstäbe einmal gewöhnt sei, sähe man sie nicht mehr, die Blumenpracht dagegen sei täglich ein Wunder.

Daß er die schmucklos geraden Gitterstäbe vor den Fenstern jeden Tag mit innigem Wohlgefallen wahrnahm, verschwieg er. Jedes Jahr vermißte er, wenn sie in ihr Sillenbucher Häuschen zurückkamen, die Gitter, öd und leer kamen ihm gitterlose Fenster dann vor.

Sobald der Wagen mit der Starnberger Nummer herfuhr, eilten Helmut und Sabine zum Gartentürchen. Helmut wollte verhindern, daß Klaus überhaupt Zürn’schen Boden betrete.

Alles, was der neulich in Blau angehabt hatte, trug er jetzt in einem verblichenen Rosa. Nur Gürtel und Sandalen schienen dieselben zu sein.

Helene war nackt und hatte etwas Schwarzes darübergeworfen. Sie hatten in ihrem Hotel einen Tisch bestellt. Man saß direkt über dem Wasser. Aber hinter Glas. An allen Tischen saßen Grüppchen wie sie. Die Bedienungen bewegten sich. Welch eine wunderbare Leere, dachte Helmut. Jetzt trinken und versinken. Aber Klaus Buch wollte endlich wissen, ob sein Verdacht, daß aus seinem romantisch-bizarren Ha-Ha ein fanatischer Arbeitsmensch geworden sei, begründet sei. Helmut nickte. Komm, komm, sagte Klaus Buch, das glaub ich dir nicht. Sabine, sagte Helmut, wie siehst du das? Sabine sagte, daß Helmut ununterbrochen arbeite. Allerdings auf eine nicht jedem gleich begreifliche Weise. Er lese eben immerzu. Es sehe aus wie Studieren. Sie halte es aber eher für Leben. Das heißt, es komme nichts heraus dabei. Vielleicht sei das sogar nicht einmal beabsichtigt. Er verändere sich durch sein Lesen, das schon. Er komme von keiner gelesenen Seite als der zurück, der die Seite aufschlug. Helmut pfiff leise. Beifällig. Auf jeden Fall komme er andauernd weiter, das erlebe sie. Sie auf jeden Fall komme da schon lang nicht mehr mit. Bei dem Tempo, das Helmut allmählich vorgelegt habe. Ja, er könne ruhig noch einmal pfeifen. Er warf ein, er würde ihre Arie auch lieber mit 64 Geigen begleiten, aber er habe nur noch zwei dürre Lippen, für die selbst Klaus eine Dürreprämie nicht verweigern würde. Sie empfinde, sagte Sabine unbeirrt, sein Tempo schon manchmal als rücksichtslos. Es mache den Eindruck, als sei es ihm schon egal, ob sie noch mitkomme oder nicht. Helmut sagte, als meine er es nicht: Lügt sie nicht wunderbar! Und das, obwohl sie weiß, daß sie lügt. Klaus Buch sagte: Sie schwärmt. Hel, schwärm doch auch einmal so von mir. Tust du ja selber, sagte Helene.

Klaus Buch sagte zuerst, Hel möge ihn eben nicht mehr, dann sagte er, er sei so glücklich zu sehen, daß Helmut kein Kleinbürger geworden sei.

Helmut dachte: Wenn ich überhaupt etwas bin, dann ein Kleinbürger. Und wenn ich überhaupt auf etwas stolz bin, dann darauf. Er fand, daß er als Kleinbürger



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